Hotspot-Betreiber haften für ihre Nutzer…
…so sieht es die sogenannte Störerhaftung. Bis jetzt.
Gerade als wir am Erstellen der neuen Ausgabe der Wave sitzen und das Interview mit den Chemnitzer Freifunkern frisch aufgenommen ist, hat sich Union und SPD überraschend entschieden, die im nachfolgenden Interview besprochene Störerhaftung für WLAN-Betreiber komplett zu kippen. Auch die lange diskutierte Vorschaltseite für freie WLANs ist im jetzigen Gesetzesentwurf nicht mehr enthalten.
Die FREIFUNK-Community dürfte das sehr freuen. Das riesige Engagement im Mitmach-Netzwerk, stetig steigende Teilnehmerzahlen und sogar die Verleihung eines Friedenspreises haben wir zum Anlass genommen, den Freifunk näher vorzustellen. Dazu waren wir bei den Organisatoren im Harz, Franken und Chemnitz und haben uns das Projekt, die Begeisterung und die technische Umsetzung erklären lassen.
VARIA: Der Chemnitzer Friedenspreis wird seit 2002 jedes Jahr vergeben um friedensstiftende kulturelle und politische Impulse zu ehren. Wofür habt Ihr den Preis erhalten? Was verbindet den Freifunk mit einem friedlichen Chemnitz/Sachsen?
Steffen Förster: Wir haben den Preis im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit verschiedenen Erstaufnahmeeinrichtungen für ankommende Flüchtlinge erhalten. Mit Hilfe unseres Netzwerkes konnten die Menschen in den Einrichtungen unkompliziert das Internet nutzen und somit auch Kontakt zu ihren Familienangehörigen herstellen. Das Internet als größte Informationsquelle stellt in unseren Augen eine Notwendigkeit dar, die für jeden Menschen frei zugänglich sein sollte.
VARIA: Was ist der Chemnitzer Freifunk eigentlich und was waren Eure Beweggründe den Freifunk Chemnitz zu gründen? Bitte stellt Euch vor.
Steffen Förster: Als drittgrößte Stadt Sachsens war es natürlich höchste Zeit eine eigene Community zu gründen. Freifunk gibt es schließlich deutschlandweit und auch in Chemnitz war und ist der Bedarf an freien Internetzugängen hoch. Dabei kreieren wir nicht nur einzelne Hotspots sondern bauen ein großes Mesh-Netzwerk auf, welches unabhängig und dezentral betrieben wird. Das bedeutet, dass die einzelnen Router untereinander per WLAN verbunden sind und den Netzwerkverkehr untereinander verteilen können. Diese Dezentralität schützt einzelne Anschlüsse auch vor Ausfall und gewährleistet somit den freien Informationsaustausch
VARIA: Die Anzahl der öffentlichen WLAN-Hotspots nimmt in Deutschland nur schleppend zu und Deutschland hängt im internationalen Vergleich weit hinterher. Was meint Ihr ist die Ursache dafür?
Steffen Förster: Die Antwort ist simpel und heißt Störerhaftung. Diese besagt, dass bei Missbrauch nicht der Nutzer sondern der Anschlussinhaber haftbar gemacht werden kann. Stellt also jemand seinen Internetanschluss der Öffentlichkeit zur Verfügung und wird über diesen eine Straftat begangen, ist nicht der Verursacher der Schuldige, sondern die Verantwortung liegt allein beim Betreiber des Internetanschlusses. Das Gesetzt zur Störerhaftung gilt nur in Deutschland, in anderen Ländern sind freie Internetzugänge und WLAN-Hotspots deshalb viel weiter verbreitet.
VARIA: Die Verbreitung von breitbandigen Internetzugängen und deren Verfügbarkeit haben nach den Verlautbarungen der Bundesregierung höchste Priorität. Was hat das für Auswirkungen auf den Ausbau und die Community des Freifunknetzwerkes?
Steffen Förster: Die Bundesregierung fordert hier etwas, worum sich der Freifunk e.V. schon seit über 10 Jahren in Eigenregie bemüht. Die Erschließung von digitalem Brachland nimmt nun aber durch politische Programme und aktuelle Debatten weiter an Fahrt auf. Davon profitieren auch wir, denn Freifunk ist in der Lage dieses Ziel mitzugestalten. Einige Gemeinden arbeiten hier schon mit uns zusammen und ziehen eine Initiative in Bürgerhand einem Großkonzern wie der Telekom gern vor. Die Förderprogramme von Land und Bund zielen auch explizit auf nachhaltige und ökonomischere Lösungen ab. Durch Freifunk erhalten vor allem kleinere Städte und Dörfer die Möglichkeit dieses Vorhaben zusammen mit ihren Einwohnern zu erreichen, anstatt sich von einem etablierten Provider mit Marktmonopol abhängig zu machen.
VARIA: Worin genau besteht momentan die Rechtsunsicherheit beim Betrieb öffentlicher WLANs und spielt das Thema “Störerhaftung” für Freifunk eine Rolle?
Diese Dezentralität schützt einzelne Anschlüsse auch vor Ausfall und gewährleistet somit den freien Informationsaustausch.
Steffen Förster: Die bereits erwähnte Störerhaftung ist in der Tat ein großes Problem für öffentliche WLANs. Die Angst für Handlungen anderer im Internet haftbar gemacht zu werden ist groß. Dennoch haben wir einen Weg gefunden diese Hürde zu nehmen. Der gesamte Datenverkehr der Router wird mittels einem VPN-Tunnel zu unseren Freifunk-Servern geleitet. Damit ist der einzelne Knotenbetreiber nicht mehr zu ermitteln.
VARIA: Müssen Betreiber von öffentlichen Hotspots bzw. Freifunk-Hotspots eine Meldung bei der Bundesnetzagentur machen?
Steffen Förster: Der Betrieb einer öffentlichen WLAN-Infrastruktur ist immer dann meldepflichtig, wenn der Betreiber gewerblich tätig ist. Das trifft allerdings auch dann zu, wenn er kostendeckend arbeitet. Der Freifunk Chemnitz e.V. ist deshalb als ISP bei der Bundesnetzagentur angemeldet. Für Nutzer, die zu Hause einen Router aufstellen und so dem Freifunknetzwerk beitreten, gilt diese Vorschrift nicht.
VARIA: Was genau liegt in Verantwortlichkeit des Betreibers eines Freifunk-Hotspots bzw. gibt es Risiken die ein Betreiber beachten soll?
Steffen Förster: In die Verantwortung des Betreibers fällt lediglich der physikalische Betrieb des Geräts – d.h. der Aufstellort sollte entsprechend sicher sein, damit keiner durch abstürzende Router oder Antennen zu Schaden kommt. Darüber hinaus ist natürlich für Strom und ggf. Internetzugriff zu sorgen.
VARIA: Du hast vorhin das Routing per VPN erwähnt. Wie genau kann man sich die Umsetzung des Routings über den Tunnel vorstellen?
Steffen Förster: Jeglicher Traffic wird über unser VPN transportiert – das ist eine Art unsichtbares Kabel zu unseren Servern. Dort kümmern wir uns um die weitere Verteilung der Datenpakete, sodass die Nutzer einen Zugangs ins Internet bekommen. Dafür haben wir mehrere DHCP- und DNS-Server im Einsatz, welche untereinandern mit GRE und BGP vernetzt sind. Die Router selbst nutzen die Tunnel-Software fastd oder l2tp, um sich in unsere Infrastruktur zu verbinden.
VARIA: Weg von den rechtlichen Aspekten, wie groß ist Euer Netzwerk? Wie viele Hotspots/Unterstützer habt Ihr?
Steffen Förster: Derzeit gibt es 280 Knoten im gesamten Chemnitzer Stadtgebiet und einigen Randgebieten zur City. Mit rund 150 Unterstützern bilden wir eine Community die sich sehen lassen kann. Dafür sprechen auch unsere Zugriffszahlen die aktuell bei bis zu 600 Usern gleichzeitig liegt.
VARIA: Welche Technik sollte für einen Freifunk-Hotspot genutzt werden?
Steffen Förster: Für die Nutzung bedarf es keiner ausgefallenen Technik. Es wird lediglich ein OpenWRT-fähiger Router benötigt. Dieser sollte mindestens über 4 MB Flash und 16 MB Arbeitsspeicher verfügen. Auf dieses Gerät wird unsere eigene Firmware geflasht. Die Software – GLUON – wird in Zusammenarbeit mit vielen Freifunkern aus ganz Deutschland entwickelt.
VARIA: Wer installiert die Software auf das System? Verliert das Gerät dadurch seine Garantie?
Steffen Förster: Viele zukünftige Nutzer erhalten von uns ein vorkonfiguriertes Gerät. Damit braucht der Betreiber den Router nur mit seinem vorhanden Internetanschluss verbinden oder aber mit einem bestehenden Freifunk-Router in seiner Nähe. Technikaffine können die Firmware auch selbst auf den Router flashen. Die originale Firmware des Gerätes kann jederzeit wieder installiert werden und die Hardware-Garantie verfällt ebenso wenig.
VARIA: Wie schnell sind die Verbindungen? Welche Bandbreite kann der „Gast“ erwarten? Wird die eigene Verbindung dadurch beschränkt?
Steffen Förster: Die Surfgeschwindigkeit liegt meist zwischen 5 und 50 MBit/s – je nach vorhandenem Internetanschluss und Routermodell. Unsere Software erlaubt es dem Betreiber nur einen bestimmten Teil seiner Bandbreite zur Verfügung zu stellen. Somit bleibt für das heimische Netzwerk immer genug Kapazität übrig.
VARIA: Kann man die Nutzung des Freifunk-Hotspots überwachen, d.h. was genau darüber genutzt wird? Wird Werbung geschalten?
Steffen Förster: Es gibt keinen Eingriff auf den vorhandenen Datenstrom genauso wenig wie eine Vorratsdatenspeicherung. Der Nutzer bewegt sich komplett anonym. Es gibt lediglich eine anonyme Nutzungsstatistik pro Router. Diese wird nur für die Auswertung des Traffics genutzt.
VARIA: Wer haftet, wenn ein Nutzer des eigenen Hotspots durch das Nutzen geschädigt wird, z.b.: durch einen Virus oder Systemabsturz oder Ähnliches?
Steffen Förster: Die Freifunkrouter bringen durch unser VPN schon einen gewissen Grundschutz mit. Allerdings liegt – wie auch bei allen anderen Hotspots – die Verantwortung in der Hand des Nutzers. So empfehlen wir beispielsweise immer den Einsatz von SSL-Verschlüsslung bei Online-Banking oder ähnlichen Anwendungen. Oftmals ist dies allerdings schon von Haus aus der Fall. Der Traffic im WLAN selbst ist technisch nicht zu schützen, da es sich um einen freien und offenen Zugang ohne Passwort handelt.
VARIA: Als kurzes Fazit: Warum sollte man einen Freifunk-Hotspot zur Verfügung stellen?
Steffen Förster: Lass mich diese Frage abschließend mit einem kleinen Beispiel beantworten. Jeder freut sich in einem gutem Restaurant über den “Gruß aus der Küche”. Dieser Service ist auch auf digitale Angebote übertragbar. Egal ob es sich um ein Restaurant oder die heimische Wohnung handelt – der barrierefreie Zugang zum Internet ist in der heutigen Zeit ein Grundrecht und sorgt für zufriedene Kunden und Freunde gleichermaßen.
Vielen Dank an das Team von Freifunk für das beantworten unserer Fragen!
(Interview und Foto: Michael Großfrei)
Freifunker wollen die Vernetzung von Menschen und Organisationen fördern und damit einen Mehrwert für Kultur und Bildung schaffen. Doch auch technisch bieten diese Netzwerke Vorteile:
- regional beschränkte Contents (PlayList, YouTube, Zattoo u.a.)
- moderne Infrastruktur (IPv6, Roaming, Peerings in andere Netze z.B. dn42)
- Anonymität und Rechtssicherheit
Die Rechtssicherheit wird durch die Nutzung einer VPN-Software auf den Knoten hergestellt. Diese sorgt dafür, dass alle Verbindungen nur zu Freifunk zurückverfolgbar sind.
Anonymität wird durch fehlendes Logging innerhalb des Freifunk Netzes und durch einen Tor-Proxy gewährleistet. Innerhalb des Netzes kann jede bekannte Webseite auch extra per Tor aufgerufen werden.
Spendenkonto:
Freifunk Chemnitz e.V.
Konto Nr: 1017306299
BLZ: 12030000
IBAN: DE30120300001017306299
BIC: BYLADEM1001
Deutsche Kreditbank Berlin
Spenden auf betterplace.org
Unterstützen beim Onlineeinkauf