Brettspiel
10. November 2023 Pegasus

Wer hat sich nicht schon mal gefragt, wie ein Brettspiel entsteht und es grafisch umgesetzt wird? Benjamin Schwer nimmt uns mit auf seine ganz persönliche Reise mit Djinn. 

“Die Grundidee von Djinn geht zurück auf eine Partie Trajan (von Stefan Feld) im späten Herbst 2017. Nach der Partie dachte ich darüber nach, wie gut es gelungen war, einen interessanten Kernmechanismus in ein Spiel einzubauen ohne dass dieser Mechanismus zum Thema und den Aktionen, die die Spielenden ausführen, in direktem inhaltlichen Zusammenhang steht. Diese Überlegung brachte mich schließlich auf eine Spielidee, die auf drei zentralen Grundgedanken basiert. Doch zunächst zur Frage des Themas:

Thema

Da Titel und Themen oft vom Verlag entschieden werden, ging es mir in diesem Fall erst einmal darum, das Spielsystem aufzubauen. Das Thema wählte ich für die Entwicklungs- und Testphase bewusst generisch, denn nach meiner Erfahrung lässt sich ein Spiel mit einer vertrauten thematischen Einkleidung schneller erschließen. Ich wählte also das historische Rom und nannte das Spiel schlicht Rom.

1.   Der Kernmechanismus

Ich überlegte zunächst, welchen grundsätzlich abstrakten Mechanismus ich persönlich sehr gerne in einem modernen Brettspiel sehen würde und der möglichst so noch nicht verwendet wurde. So kam ich zu der Idee, einen Springer vom Schach auf einen 4×4-Spielplan zu setzen. Diese Art und Weise, die Felder zu erreichen, hatte ich so noch nie in einem modernen Brettspiel gesehen. Mir gefiel vor allem, dass sie Kontrolle und Planbarkeit bot. (Anmerkung: In dem Spiel Robin von Locksley von Uwe Rosenberg aus dem Jahr 2019 findet sich ein ähnlicher Mechanismus. Das Spiel war mir zu der Zeit nicht bekannt.)

Anschließend belegte ich die Felder mit Aktionen. Mir war klar, dass 16 verschiedene Aktionen zu viel wären und somit entschied ich mich für acht verschiedene Aktionen, welche es jeweils in einer starken und einer schwachen Version geben sollte. Durch die abwechselnde Anordnung stark/schwach ergab sich der interessante Effekt, dass stets auf eine schwache Aktion eine starke Aktion folgte. Mit wenig Aufwand ergab sich so von allein viel Spieltiefe.

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In dieser ersten Version hatten alle Spielenden einen eigenen, individuell angeordneten Spielplan. Auf allen Plänen standen grundsätzlich die gleichen Aktionen zur Verfügung, aber nicht in derselben Reihenfolge. Zusätzlich ergänzte ich die Möglichkeit, das eigene Tableau im Laufe des Spiels verbessern zu können, d. h. an Orten mit kleinen Aktionen einen Marker mit einer weiteren kleinen Aktion hinzuzufügen. Sobald der Springer das nächste Mal auf so ein modifiziertes Feld kam, waren beide kleinen Aktionen nutzbar.

2.   Wenig Siegpunkte

Ein weiterer zentraler Grundgedanke war, dass es nur wenige Wege geben sollte, um Siegpunkte zu erzielen und sich jeder Siegpunkt wichtig anfühlen sollte. In Rom ging es thematisch zunächst darum, die meisten „goldenen Siegel“ als Zeichen der Anerkennung für die geleisteten Dienste im römischen Reich zu bekommen.

Diese goldenen Siegel konnten direkt durch das Erfüllen bestimmter Aufgaben wie beispielsweise dem erfolgreichen Erkunden von Land oder dem Verschiffen von Waren erreicht werden. Viel häufiger als goldene Siegel gab es aber graue Siegel, die dementsprechend deutlich leichter zu erreichen waren. Im Spielverlauf konnten diese nach einem zu erspielenden Tauschkurs in goldene Siegel gewandelt werden. Das Spiel war so angelegt, dass bis zum Spielende lediglich eine kleine Menge goldener Siegel gesammelt werden konnte.

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3.   Einfluss auf das Spielende

Auf den ursprünglich acht einzelnen Aktionsplänen, die zusätzlich zu den Spielplänen der Spielenden auf dem Tisch lagen, konnten Waren hergestellt und verschifft, Militär verstärkt und zum Erkunden eingesetzt, Steuern eingetrieben, Adelige geworben, die Stellung im Senat verbessert sowie Gebäude und Statuen gebaut werden.

Besondere Aktionen waren die Gebäude und der Senat: Das Errichten von Gebäuden brachte im Spiel zwar nicht so viel wie andere Aktionen, aber es durfte nur an der Schlusswertung teilnehmen, wer mindestens fünf Gebäude errichtet hatte. Thematisch sollte das symbolisieren, dass die Spielenden sich quasi auch um den weiteren Aufbau Roms kümmern mussten und nicht nur die eigenen Pläne verfolgen durften.

Der Senat hatte zwei relevante Funktionen: Einerseits konnten die Spielenden dort den Tauschkurs für ihre grauen Siegel verbessern.  Andererseits bot sich hier die Möglichkeit, bei schnellem Voranschreiten das Spielende vorzeitig auszulösen – ein wichtiger Aspekt für langfristige Strategien.

Teil 2 – Überarbeitung mit Ralph Bruhn

Ich stellte das Spiel Anfang 2019 Ralph Bruhn vor, der mit Hall Games einen eigenen Verlag besitzt und außerdem als freier Redakteur viel mit Pegasus Spiele zusammenarbeitet. Mit ihm hatte ich zuvor die Spiele Yeti und Crown of Emara umgesetzt, die beide bei Pegasus Spiele erschienen, und war sehr zufrieden damit. Besonders angenehm fand ich die konstruktive Zusammenarbeit mit Ralph.

Wie intensiv und langwierig die Überarbeitung des Spiels werden sollte, konnten weder Ralph noch ich zu diesem Zeitpunkt absehen. Dass Rom erst vier Jahre später als Djinn erschien, lag vor allem daran, dass die Coronapandemie uns bei der Entwicklung extrem aufgehalten hat. Es fehlte das Feedback von Testrunden, um die Schwächen des Designs feststellen und beseitigen zu können.

So mussten wir uns lange Zeit auf nur wenige digitale Testrunden auf Tabletopia beschränken. Aber beim Testen geht es nicht nur darum, zu schauen, ob die Mechanismen funktionieren, sondern auch darum, zu beurteilen, ob die Spielenden Spaß beim Spielen haben. Und ich muss zugeben, dass mir das schwergefallen ist, da die Spieldauer bei den digitalen Runden deutlich länger war als am Spieltisch, was das Spielerlebnis negativ beeinflusste.

Als wir dann endlich wieder „richtige“ Testmöglichkeiten hatten, brachte uns das Feedback noch auf einige gute Ideen, um noch mehr aus dem Spiel herauszuholen. Die Änderungen einzuarbeiten hat schließlich noch ein weiteres Jahr Bearbeitungszeit gefordert.

Einen kompletten Überblick darüber zu geben, was wir in den diversen Phasen der Überarbeitung alles verändert, neugedacht, umgestellt, ausprobiert, verworfen, diskutiert und eingebaut haben, würde den Rahmen sprengen. Daher werde ich mich im nächsten Teil darauf fokussieren, was aus den drei oben genannten zentralen Ideen und dem Thema geworden ist.

So viel kann ich aber schon mal sagen: bestrafende Elemente und einige anfangs vorhandene Glückselemente haben wir herausgenommen. Zum Beispiel, dass man bis Spielende mindestens fünf Gebäude errichtet haben musste, um überhaupt in die Schlusswertung zu kommen. Diese Änderungen kamen für mich nicht überraschend, da ich aus der vergangenen Zusammenarbeit mit Ralph schon wusste, dass er ganz besonders viel Wert darauf legt, ein positives Grundgefühl in Spielen zu vermitteln.

Teil 3 – Was aus dem Thema und den drei Grundideen vom Anfang wurde

Zum Thema

Das Thema hatte Ralph schon nach wenigen Monaten geändert und ein magisches Setting gewählt. Der damalige Arbeitstitel lautete sehr lange Zeit Flaschengeister. Vom Titel leitete sich auch wunderbar ab, was konkret die Aufgabe der Spielenden sein sollte: Nun ging es um das Einfangen von Geistern.

Aus den goldenen Siegeln wurden Geister, die nichts wert waren, wenn man sie nicht in Flaschen fangen konnte. Die acht einzelnen Aktionen wurden thematisch angepasst und schrittweise immer weiter ausgearbeitet und schließlich auf sechs Aktionen reduziert und optimiert.

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Zu 1. Der Kernmechanismus

Mechanismen, die besonders und ungewöhnlich sind, haben mitunter den Nachteil, dass sie für manche schwierig zu spielen sind. So war das ursprüngliche 4×4 Raster schließlich für viele Spielende zu unübersichtlich, um die Wege eines Springers gedanklich vorausplanen und so die Aktionen in eine sinnvolle Reihenfolge bringen zu können.

Ralph hatte die gute Idee, wie man die Grundidee topologisch gleichwertig (also Wechsel von stark zu schwach mit 2-3 Optionen für den nächsten Zug), aber viel übersichtlicher anordnen konnte:

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Diese Anordnung hatte gleich mehrere Vorteile: die zuvor benachteiligten Eckfelder waren nun gleichwertig in Hinblick auf die Anzahl der Verbindungen; wir konnten in der Mitte ein zusätzliches Feld integrieren; wir konnten nun das Problem des Hin- und Herspringens zwischen zwei Feldern lösen; wir konnten das System später von 16 auf 12 Felder reduzieren. Daher haben wir die Springerbewegung frühzeitig durch eine Figur ersetzt, die nie rückwärts ziehen, durfte.

Auch die Idee eines gemeinsamen Spielplans anstatt individuellen Plänen für die Spielenden haben wir überdacht, aber zunächst verworfen. Zu unübersichtlich und zu groß erschien uns das. Es mussten ja auch noch die individuellen Upgrade-Marker Platz finden und auch die Djinns.

Dann kam aber das Nach-Corona-Feedback mit einigen Wünschen und Anregungen: die Wege sollten verkürzt werden, die Aktionen sich unterschiedlicher anfühlen und das Spiel etwas weniger solitär und somit weniger vorausplanbar sein. Also haben wir die Aktionen ganz neu strukturiert und von acht auf sechs reduziert und so dann doch auf einen gemeinsamen Spielplan umschwenken können. So konnten wir sowohl die Interaktion erhöhen als auch die Übersichtlichkeit verbessern. Sogar die Djinns, die zuvor noch auf den Aktionsplänen standen, hatten noch neben den runden Feldern auf dem Spielplan Platz.

Auch das ursprünglich uninteressante Startfeld in der Mitte haben wir weiter aufgewertet und zu einem gleichwertigen, speziellen Aktionsfeld modifiziert:

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Zu 2. Wenig Siegpunkte

Das Spielziel von Djinn war also klar und einfach: Wer hat die meisten Djinns in Flaschen gefangen und verkorkt? Lange Zeit war das die einzige, schnell zu ermittelnde Wertung am Schluss, Korken und leere Flaschen waren nur Tiebreaker.

Da man ungefähr zehn Djinns pro Partie fangen konnte, fühlte sich das Fangen jedes einzelnen Djinns gut und belohnend an. Auf der anderen Seite führte das jedoch auch dazu, dass bei der Wertung relativ oft die Tiebreaker herangezogen werden mussten, was manchmal den Eindruck einer Beliebigkeit hervorrufen konnte. Daher rechnen wir die drei Elemente Djinns/Flaschen/Korken nun bei Spielende in Punkte um, wobei trotzdem in den meisten Fällen die größere Anzahl gefangener Djinns zum Gewinn führt. Das hatte zum einen den Vorteil, dass der Eindruck der Beliebigkeit nun nicht mehr auftrat, zum anderen konnten wir so die Wertungskarten als weiteres Element integrieren.

Zu 3. Einfluss auf das Spielende

In den ersten Versionen des Spiels Djinn gab es mehrere Möglichkeiten, aktiv das Spielende einzuleiten. Dies konnte zu frustrierenden Momenten führen, weil das Spiel für einige überraschend beendet wurde.

Dieses Problem konnten wir dadurch lösen, dass wir das Erreichen des Spielendes nun alleine daran knüpfen, wann die sechs Meisterdjinns aus dem Dorf entfernt sind. Das liegt zum einen alleine in der Hand der Spielenden, was ja von Anfang an mein Ziel war. Zum anderen ist es sehr übersichtlich, weil alle jederzeit sehen können, wie viele Meisterdjinns noch im Dorf sind und wer die Möglichkeit hat, diese zu erreichen.

Außerdem wird das Spiel auch nach dem Auslösen der Spielende-Bedingung nicht sofort beendet, sondern alle haben noch 1-2 weitere Aktionen, in denen der ein oder andere Plan vollendet oder Ressourcen in Punkte umgewandelt werden können.

Teil 4 – Die Illustration

Zu meiner großen Freude hatte sich Dennis Lohausen für die Illustration des Spiels bereit erklärt. Er hat schon bei der grafischen Umsetzung von Yeti und Crown of Emara wirklich wunderbare Arbeit geleistet und ich war sehr neugierig, was er diesmal für ein optisch ansprechendes Gesamtkunstwerk erschaffen würde.

Schon die ersten Coverentwürfe zeigten eine spannende Richtung und mit jeder neuen Illustration wurde die magische Welt des Spieles spürbarer.

Um einen Einblick in den Illustrationsprozess zu geben, hier ein Beispiel zur Gestaltung des Djinns: Der Djinn sollte nicht so nett aussehen, dass man Mitleid mit ihm bekommt, schließlich sollen wir ihn ja einfangen. Er sollte aber auch nicht so böse aussehen, dass man sich vom Cover abgeschreckt fühlt.

Dennis hat mehrere Versionen mit Gesichtsausdrücken erstellt, unter anderem eine, bei der der Djinn in der Flasche uns direkt anstarrt. Das fand ich einerseits großartig, anderseits hatte dieser Blick des Djinns aber auch etwas Feindseliges und schreckte damit einige Leute ab. Daher fiel die Entscheidung schließlich doch auf den rechten Entwurf:

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Auch bei den Spielmaterialien hat Dennis tolle Arbeit geleistet:  die Gestaltung lässt uns tief in die Geschichte des Spiels eintauchen und zugleich wurde die Übersichtlichkeit nochmal optimiert.

Was im Prototyp noch ein zentraler Spielplan mit sechs Aktionsplänen darum herum war, hat er in einen großen Übersichtsplan zusammengefasst, dabei aber das strenge Rechteck eines Spielplans aufgelockert durch Aussparungen, in die Karten und Plättchen angedockt werden können.

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Abschließend kann ich sagen, dass die Entwicklung von Djinn eine lange und arbeitsintensive, aber vor allem eine sehr interessante, abwechslungsreiche und spannende Reise war.

Mein Dank gilt allen Beteiligten, die sich auf ganz verschiedene Weise in dieses Spiel eingebracht und es bereichert haben.

Ich hoffe, dass allen Lesenden der kleine Einblick in die Entwicklungsgeschichte von Djinn gefallen hat und wünsche allen zukünftigen Spielenden viel Freude mit dem Spiel.”

Djinn

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    • Personenzahl:für 1 bis 4 Spielende
    • Alter: ab 12 Jahren
    • Spieldauer:70 bis 90 Minuten

Autor: Benjamin Schwer – Quelle: Pegasus Blog

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